Die Demokratie ist tot – lang lebe die Demokratie!

Vortrag von Dr. Mona Aranea, Soziologin, in der außer­parlamentarischen Opposition, 16.04.2022

Mona Aranea, dieBasisLaut aktuellen Umfragen sind 30 Prozent der wahl­berechtigten Erwachsenen in Deutschland der Meinung, in einer „Scheindemokratie“ zu leben. Stimmt es, dass wir in einer Scheindemokratie leben? Und wenn ja, warum beteiligen wir uns weiterhin an Wahlen?

Stimmt es, dass wir in einer Scheindemokratie leben? Schauen wir uns die Fakten an. Sozialforscher am renommierten Max-Planck-Institut für Gesellschafts-Forschung in Köln unter­suchten vor ein paar Jahren die Frage, wessen Interessen eigent­lich durch die politischen Entscheidungen des Bundestages bedient werden. Die Studie ver­gleicht die politischen Entscheidungen des Bundestages mit den in Umfragen geäußerten Interessen unter­schiedlicher Einkommens­gruppen, spürt also empirisch der Frage nach, wessen Interessen die im Bundestag verabschiedeten Entscheidungen mehr oder weniger bedienen.

Das Ergebnis: die Entscheidungen des Bundestages spiegeln über­wiegend die öko­nomischen Interessen der obersten Einkommensgruppe wieder, also der besonders wohl­habenden Deutschen, und repräsentieren eher selten die Interessen der unteren Einkommenklassen. Ihre Studie ver­öffentlichten die Autoren im Jahr 2017 in der dt. Zeitschrift für Politikwissenschaft unter dem Titel „Dem deutschen Volke? Die un­gleiche Responsivität des Bundestages“(1). Die Studie stützt sich in ihrem Design auf ähnliche Forschungen in den USA, die ähnliche Ergebnisse hervor­gebracht haben, nämlich dass die Interessen der obersten Einkommens­gruppen bei politischen Entscheidungen über­proportional stark berücksichtigt werden(2).

Die Menschen ver­stehen also richtig, dass ihre Demokratie eben nicht als Herrschaft des Volkes funktioniert, sondern zu einem nicht un­erheblichen Teil ein schöner Schein ist, hinter dessen demokratischer Fassade knall­harte Interessenpolitik gemacht wird, auf die einfache Bürger wenig bis gar keinen Einfluss haben. Die Schuld für diese Interessen-Politik allein unseren häufig korrupten und leider i.d.R. wenig gebildeten Politikern in die Schuhe zu schieben, ist allerdings nicht ganz fair. Es stimmt zwar, dass viele Politiker „Scheindemokraten“ sind. Spätestens seit praktisch die kompletten Bundestagsfraktionen der Grünen und der SPD versucht haben, den Menschen in diesem Land gegen deren massiven Widerstand eine verfassungs­widrige Impfpflicht aufzuzwingen, sollte jedem klar sein, dass wir in unseren Parlamenten einen Mangel an echten Demokraten, dafür aber ein Überangebot an schlecht informierten, charakter­schwachen und rückgrat­losen Lobbyisten haben.

Aber wir sollten über die (berechtigte) Kritik an unseren Politikern nicht vergessen, dass diese systematisch einer über­mächtigen Finanzoligarchie aus­geliefert sind. Die Machteliten, also äußerst wohl­habende und gut vernetzte Einzelpersonen, Familien, Investorengruppen, Banken und Firmen, haben ein eindeutiges Interesse daran, die Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, zu beschränken, indem sie direkt Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Der Oligarchen-Kapitalismus ist keine Verschwörungstheorie, wie die oben zitierten Studien aus Deutschland und den USA zeigen. Eigentumseliten, also Menschen mit Geld und ihre bezahlten Funktionäre neigen zu allen Zeiten und in allen Ländern dazu, demo­kratische Steuerungs­instrumente zu neutralisieren. (Wolfgang Schäuble formulierte treffend in Bezug auf Griechenland, es könne doch nicht sein, dass Wahlen die Wirtschaftpolitik eines EU-Mitgliedslandes änderten.)

Wenn wir in einer Scheindemokratie leben, warum beteiligen wir uns weiter­hin an Wahlen? Die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland zeigt: Immer mehr Menschen verweigern ihre Mitwirkung. Bei der Landtagswahl 2022 im Saarland haben knapp 40 Prozent der Menschen nicht gewählt. Macht ihr Wahlverhalten Sinn? Ja – und Nein. Es gibt durchaus gute Argumente für eine Verweigerung der „Stimmabgabe“. Die repräsentative Demokratie, in der wir unsere Stimme abgeben, anstatt sie zu erheben, gibt uns das Gefühl der Mitbestimmung, hält aber effektiv die besitzende Oligarchie an der Macht, bei regel­mäßiger Auswechslung ihrer Vertreter und Funktionäre durch Wahlen(3). Wir wählen nicht das politische Programm, das wir wollen, sondern wir wählen lediglich die Politiker, die uns dann ein politisches Programm auf­zwingen, das die meisten von uns eben nicht wollen.

Die repräsentative Demokratie ist also fak­tisch eine Eliten-Wahloligarchie. Und genau diese Wahloligarchie, die die akademischen Spatzen schon seit langem von den Dächern pfeifen(4), sehen und verstehen inzwischen zumindest dreißig Prozent der Menschen in diesem Land. Im Saarland zeigten knapp vierzig Prozent der Wahlberechtigten ihre Ablehnung dieser demokratischen Farce durch Stimmverweigerung. Gleichzeitig machen sich politische Parteien kaum noch die Mühe, ihre Politik jenseits ober­flächlicher Phrasen inhaltlich zu recht­fertigen. Die repräsentative Demokratie kann ihre gesellschaft­liche Befriedungsfunktion immer weniger erfüllen, da Volk wie Eliten zunehmend „aus der Rolle fallen“ und einfach nicht mehr mit­spielen. Das ist kein Grund zur Panik, sondern im Gegenteil ein Grund zur Zuversicht. Denn nur wer die Krise der Demokratie sieht und versteht, kann die Demokratie retten. Die Demokratie lebt, wenn wir sie gestalten.

Und genau darum beteilige ich mich weiterhin an Wahlen und bin aktiv im Wahlkampf. Wer politische Aufklärungsarbeit leisten und die Eliten-Wahloligarchie entlarven will, für den gibt es keine bessere Gelegenheit, als den Wahlkampf. Die Art, wie Politik und Medien vor Ort mit der Opposition umgehen, entlarvt jeden Tag aufs Neue unsere Scheindemokratie. In der Stadt Unna haben die Direktkandidierenden von SPD, Grünen, Linken sowie CDU und FDP erklärt, dass sie nicht für Podiumsdiskussionen zur Verfügung stehen, wenn die Kandidierenden von AfD oder dieBasis mit auf dem Podium sitzen. Die Begründung war, wieder einmal, der angebliche Rechtsextremismus beziehungs­weise Hang zu „Verschwörungs-Theorien“ dieser Parteien. Was könnte klarer die Demokratiefeindlichkeit, die Argument­losigkeit und die Lobby-Hörigkeit der Regierungs-Parteien entlarven, als diese feige Diskursverweigerung? Der Wahlkampf ist eine ideale Bühne, weil die Pandemiepolitiker, die Scheindemokraten und die nackten Kaiser aus der Deckung müssen.

Und genau das, den Fingerzeig auf den ganzen Wahnsinn unsere Wahloligarchie, machen wir hier jeden Samstag mit unserem maßnahmen­kritischen Bürger-Spaziergang. Und das machen wir sehr gut. Und um uns herum bildet sich eine wachsende Zahl von Menschen, die auch sehen, dass der Kaiser nackt ist, und die herzlich mit­lachen. Und genau das braucht es in diesen Zeiten. Fakten, Lachen und Pfeifkonzerte. Wer Freiheit will, der muss tanzen, auch auf Gräbern. Die Demokratie liegt um uns herum in Trümmern. Wenn wir diese Entwicklung aufhalten wollen, dann müssen wir die Demokratie aus den Klauen der Oligarchen befreien. Das wird ein Marathon, und wir stehen noch ganz am Anfang. Aber wir laufen ihn gemeinsam. Wir sind viele, und wir gehen spazieren.


Quellen

  1. Elsässer L, Hense S und Schäfer A (2017)
  2. Gilens M und Page B (2014)
  3. Eliten haben ein Interesse daran, direkte Demokratie zu unterbinden und bestehen daher immer und überall auf „repräsentativen“ Formen der Demokratie. Der Halle’sche Rechtsgelehrte Christian Daniel Voß sagte bereits 1786: „Sobald die Wähler ihren Repräsentanten gewählt (…) haben, haben sie weiter keinen Anteil an der Regierung, nur Täuschung und Wahn kann die Vorstellung erhalten.“ (Mausfeld 2020: S. 125)
  4. Rainer Mausfeld (2020, S.124), mit Verweis auf Ellen Meiksins Wood (2010), siehe auch Streeck (2020)

Bibliographie

Ali, T., Flassbeck, H., Mausfeld, R., Streeck, W., & Wahl, P. (2020) Die extreme Mitte: Wer die westliche Welt beherrscht. Eine Warnung. Promedia Verlag.

Elsässer, L., Hense, S., & Schäfer, A. (2017) „Dem Deutschen Volke “? Die ungleiche Responsivität des Bundestags. Zeitschrift für Politikwissenschaft, 27(2), 161-180.

Gilens, M., & Page, B. I. (2014) Testing theories of American politics: Elites, interest groups, and average citizens. Perspectives on politics, 12(3), 564-581.

Mausfeld R (2020) Die neoliberale Mitte als demokratische Maske einer radikal antidemokratischen Gegenrevolution, in Ali, T., Flassbeck, H., Mausfeld, R., Streeck, W., & Wahl, P. (2020) Die extreme Mitte: Wer die westliche Welt beherrscht. Eine Warnung. Promedia Verlag: S. 109-148.

Streeck W (2020) Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Die extreme Mitte als Klassenbasis des gescheiterten Konsolidierungsstaats, in Ali, T., Flassbeck, H., Mausfeld, R., Streeck, W., & Wahl, P. (2020) Die extreme Mitte: Wer die westliche Welt beherrscht. Eine Warnung. Promedia Verlag: S. 43-62.

Wood, E M (2010) Demokratie contra Kapitalismus. Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus.