Vandalismus – Ausdruck demokratischer Orientierung

Gedanken über die demokratische Basis unserer Gesellschaft

Die Plakate unserer Partei werden systematisch entfernt oder zerstört. Wo an dem einen Tag noch unsere Plakate hängen, fehlen sie am nächsten Tag, und teilweise hängen dann dort ebenso plötzlich die Plakate der DKP oder von DIE LINKE. Grossplakate werden besprüht.

An diesen Stellen hingen vorher Plakate von der Basis – die sind über Nacht verschwunden.

 

Ein Ausflug in das Forschungsgebiet von Georg Lind, ehemals Professor für Psychologie an der Universität Konstanz, freier Autor und Lehrerausbilder

 

Die moralische oder auch demokratische Kompetenz ist nach Lind die Fähigkeit, Argumente anhand ihrer moralischen Qualität zu beurteilen sowie die Fähigkeit der Problem- und Konfliktlösung durch Denken und Diskussion.

Denkfähigkeit in diesem Zusammenhang meint aber nicht die Fähigkeit zu einem kontemplativen Denken, sondern die Fähigkeit, zwischen gegensätzlichen Gewissheiten abzuwägen, moralische Dilemmas zu lösen und mit Andersdenkenden zu diskutieren, auch und gerade dann, wenn die Angst das Denken und Diskutieren zu lähmen droht.

 

Die demokratische Orientierung oder auch Gesinnung ist dagegen für die lebendige Demokratie wertlos. Sie meint in diesem Zusammenhang die Meinungs- und Autoritäts-Konformität. Die demokratische Orientierung lässt sich im Gegensatz zur demokratischen Kompetenz zwar simulieren („Ich bin Demokrat“, „Ich würde niemals Rechts wählen“, …), kann jedoch recht einfach enttarnt werden:

Demokratisch und moralisch inkompetente Menschen gehen auf Argumente nicht ein, sondern beurteilen diese auf Basis der Übereinstimmung mit der eigenen Meinung. Ihre Mittel der Konfliktlösung sind Gewalt und Zerstörung, Betrug, Ignorieren oder die Unterwerfung unter eine Autorität.

Selbst die besten Argumente prallen an ihnen ab, selbst die unsinnigsten werden verwendet, wenn sie die eigene Meinung stützen. Dies zeigt sich eindrücklich im von Lind selbst entwickelten MKT (Moralische Kompetenz-Test). Dieser misst drei Parameter:

  • Die Orientierung an der Meinungs-Konformität des Arguments
  • Die Orientierung an der Autorität des Forschers
  • Die Orientierung an der moralischen Qualität des Arguments

Der Index für Moralkompetenz im MKT ist der “C-Wert” (für Competence). Die Skala reicht von 0 bis 100:

  • 0: Der Teilnehmer kann eine Meinung nicht von einem Argument unterscheiden
  • 20: Der Teilnehmer akzeptiert (fast) alle meinungs-konformen Argumente völlig(”+4″) und lehnt (fast) alle Gegenargumente völlig ab (”-4″)
  • 50: Der Teilnehmer akzeptiert stützende Argumente nur in dem Maß, wie er sie für moralisch angemessen hält
  • 100: Der Teilnehmer akzeptiert auch Gegenargumente, wenn er sie für moralisch angemessen hält

 

Der MKT Der MKT: Links ein Beispiel für volle Ablehnung oder Übereinstimmung unabhängig von der Qualität der Argumente (geringster C-Score), rechts teilweise oder volle Ablehnung oder Übereinstimmung abhängig von der Qualität der Argumente (hoher C-Score)

 

Für Deutschland liegt nach den Erhebungen von Georg Lind der mittlere Score bei unter 20, also in einem Bereich, in dem Demokratie eigentlich nicht möglich sein sollte bzw. gefährdet ist.

 

Ein pädagogischer Ansatz zur Verankerung demokratischer Kompetenz in der Gesellschaft

Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Zusammenarbeit sind nach Lind ohne demokratische Kompetenz nicht zu halten, ohne diese eine Demokratie nicht dauerhaft. Der Mangel an Denkfähigkeit sei aber nicht, wie Kant meint, vom Einzelnen selbst verschuldet, sondern Folge einer ungenügenden Vorbereitung der Menschen auf das Leben in einer Demokratie durch die Schule.

Linds Ansatz für eine demokratischere Gesellschaft ist folglich pädagogischer Art, nämlich die gezielte Schulung der Fähigkeit, Probleme und Konflikte demokratisch durch Denken und Diskutieren zu lösen, die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD) als Grundlage der Heranbildung moralischer Kompetenz bereits im Schulalter.

Im Gegensatz zu anderen Ansätzen steht dabei nicht das Dilemma selbst im Vordergrund – welches häufig nicht eindeutig gelöst werden kann und dessen Lösung vorzugeben nicht Aufgabe des Trainers sein kann – sondern die Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten.

Ziel ist also nicht die Vermittlung einer erwünschten moralischen oder ideologischen Position bzw. einer Konformitität mit extern vorgegebenen Normen, sondern das Anregen und die Entwicklung eigenen moralischen Denkens, die Vermittlung von Einsicht auch für Argumente von „Nicht-Freunden“ und die Erzielung von Angstfreiheit beim Vorbringen eigener Ansichten.

In der Dilemmadiskussion nach der Methode KMDD werden (vorgegebene) Argumente gemäss den Kriterien des o.g. MKT diskutiert. Sie hat nur wenige einfache Regeln:

  • In Übereinstimmung mit Art.5 GG darf darf jede Ansicht geäussert werden
  • Persönliche Wertung (Lob, Tadel) ist nicht erlaubt.
  • Der Redner bestimmt jeweils den nachfolgenden Redner aus der „gegnerischen“ Gruppe und übernimmt während der Rede des Nachfolgers selbst die Moderation.
  • Der Lehrer oder Coach zieht sich nach der An-Moderation als Moderator zurück.
  • Dauer: 90 Minuten
  • Teilnehmer: Zwei „gegnerischen“ Gruppen zu jeweils 3-4 Teilnehmern
  • Häufigkeit: Nur etwa jährlich (um Ermüdung und Übersättigung zu unterbinden).

 

Lt. Georg Lind sind durch Anwendung von KMDD im Gegensatz zu anderen Methoden mit geringem zeitlichen Aufwand erhebliche Verbesserungen im MKT-Score zu erreichen, d.h. eine stärkere Gewichtung der Qualität der Argumente und somit eine Stärkung der moralischen und demokratischen Kompetenz.

 

Ausblick

Bei einem systematischen Roll-Out würden je Schule nur ein oder zwei entsprechend geschulte Lehrkräfte gebraucht. Diese Methode könnte ein einfacher und vor allem realistischer Ansatz sein, unserer Gesellschaft innerhalb weniger Jahre ihre demokratische Basis wiederzugeben.

 

 


 

„Feinheit des Ausdrucks ist verschieden von der Feinheit der Gesinnung.“ (Jean Paul, deutscher Schriftsteller, 21. März 1763- 14. November 1825)

 

„It is the moral judgment that we propose to investigate, not moral behavior or sentiment.“ (Piaget 1962, S.7)

 

Georg Lind verstarb 2021.

 


Quellen und Verweise