Sorgt der Rechtsstaat noch für Gerechtigkeit?

Von Christina Kade

Am 05.08.2022 berichtete die Süddeutsche Zeitung über eine Ärztin, die in mehr als 300 Fällen Maskenatteste ausgestellt hat und dafür zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Die Begründung lautete, es habe keine ausreichende Untersuchung der Betroffenen stattgefunden. Wie die Amtsgerichts-Direktorin mitteilte trug die Uneinsichtigkeit ihrer „Schuld“ dazu bei, dass bei der Verurteilung keine Bewährungsstrafe erwogen wurde.

Das Traurige ist, wie wir uns inzwischen wohl an die Ohnmacht und die Fassungslosigkeit gewöhnt haben und Urteile wie dieses kaum mehr einen Aufschrei auslösen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Impfpflicht in der Pflege für verfassungskonform erklärt hat und das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der Impfpflicht für Soldaten keine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit sah, ist die Schockwirkung bei diesem Urteil wohl eher gering.

Auch die Häme, die anschließend in sozialen Netzwerken kursiert, ja selbst die gegenseitigen Beleidigungen sind kaum noch erwähnenswert. Immerhin hat die Kluft, die Maßnahmengegner und -befürworter trennt, sich in zwei Jahren stetig vertieft und verbreitert. Neu hingegen ist, wie die Politik diese Urteile ausschlachtet und instrumentalisiert.

So lässt Karl Lauterbach auf Twitter verlauten, das Urteil sei gerecht. Indirekt unterstellt er, obwohl er selbst nie als Arzt tätig war, es handele sich um eine schlechte Ärztin. Dabei nimmt er direkt Bezug auf den Artikel der Süddeutschen Zeitung. (1) Die Ärztin wurde übrigens zusätzlich mit einem dreijährigen Berufsverbot belegt.

Karl Lauterbach auf Twitter

Besonders fragwürdig ist das Verhalten des Gesundheitsministers, weil die Politik sich bei anderen, sensibleren Themen gerne bedeckt hält, wenn ein besonders Aufsehen erregendes Urteil die Medien erreicht. Man stellt sich tot und versucht vom Thema abzulenken, sobald die eigene Agenda gefährdet sein könnte. Schlimmer noch, immer wieder wird mit „Einzelfällen“ argumentiert und die Probleme, werden bagatellisiert.

Viele werden sicher schon ahnen, dass es hierbei hauptsächlich um sexuelle Gewalt geht, die sich gegen Frauen richtet. Allerdings schaffen es „normale“ Fälle kaum in die Schlagzeilen. Nur die besonders schockierenden Beispiele sorgen für entsprechende Auflagen und Quoten.

In Baden-Württemberg kann ein „Kinderschänder“ beispielsweise durch eine sich ausbreitende und völlig fehlgeleitete Toleranz mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. (2) Das Urteil in einem weiteren Missbrauchsskandal in Weimar zieht sich seit Jahren in die Länge, wie der Deutschlandfunk bereits im März berichtete. (3) Ein ehemaliger Turntrainer steht hier vor Gericht wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Nachdem der Bundesgerichtshof ein erstes Urteil in Teilen aufhob, erfolgte ein weiterer – milderer – Richterspruch. Nach einer erneut eingelegten Revision, bleibt der Angeklagte auf freiem Fuß, bis der BGH über das Strafmaß entschieden hat. (4) Und schließlich erhält ein afghanischer Jugendlicher für die Vergewaltigung eines 11-jährigen Mädchens eine milde Bewährungsstrafe.

Wie es zu so einem Urteil kommen kann, erläutert eine ehemalige Berliner Verfassungsrichterin bei der WELT in einem Video. (5) Beruhigen dürften ihre Ausführungen aber nur wenige, sondern im Gegenteil eher dazu beitragen, eine Debatte zu befeuern, der sich kein Politiker der Altparteien wirklich stellen möchte.

Im Namen des VolkesDenn spätestens seit 2015 haben gerade die sexuellen Übergriffe durch Schutzsuchende aus anderen Kulturen stark zugenommen. Natürlich kann man davor die Augen verschließen und das Problem marginalisieren. Man kann „Milde“ walten lassen – die jedoch häufig als Schwäche interpretiert wird. Die Bagatellisierung schwerer Straftaten ist kein Zeichen für eine verständnisvolle und hochentwickelte Gesellschaft. Sie ist eine Verhöhnung der Opfer, die häufig noch durch anschließende „Verhaltenstipps“ auf die Spitze getrieben wird. Hier findet dann eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die an düstere Zeiten erinnert.

Denn spätestens seit 2015 haben gerade die sexuellen Übergriffe durch Schutzsuchende aus anderen Kulturen stark zugenommen. Natürlich kann man davor die Augen verschließen und das Problem marginalisieren. Man kann „Milde“ walten lassen – die jedoch häufig als Schwäche interpretiert wird. Die Bagatellisierung schwerer Straftaten ist kein Zeichen für eine verständnisvolle und hochentwickelte Gesellschaft. Sie ist eine Verhöhnung der Opfer, die häufig noch durch anschließende „Verhaltenstipps“ auf die Spitze getrieben wird. Hier findet dann eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die an düstere Zeiten erinnert.

Ganz nebenbei bemerkt, überlässt man damit die Deutungshoheit denen, die sie geschickt zu instrumentalisieren verstehen. Durch die vergleichsweise milden Urteile betreibt man ein Form von Rassismus, der selbst extremen Rechten kaum einfallen könnte. Man tut so, als hätten diese Menschen, weil sie aus anderen Kulturen stammen, kein Empfinden für das, was richtig und was falsch ist – als wären es irgendwelche Barbaren. So wird gleichzeitig das Misstrauen gegen dien Vielen geschürt, die sich hier ein ehrliches neues Leben aufbauen wollen.

Natürlich muss man der Fairness halber zugeben, dass es auch durchaus Gerichte gibt, die in solchen Fällen Recht sprechen, wie beispielsweise in Schwerin, wo ein Angeklagter wegen vierfacher Vergewaltigung immerhin zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde (6) oder in München. Dort erhielt ein Angeklagter eine Haftstrafe von 12 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung für die Vergewaltigung einer 11-Jährigen. (7)

Trotzdem lässt sich insgesamt konstatieren, dass die Verhältnismäßigkeiten der Urteile immer wieder fragwürdig erscheint. Dies gilt insbesondere für die zwei Extrembeispiele – eine Bewährungsstrafe für mehrfachen Kindesmissbrauch und zwei Jahre Haft für das Ausstellen von Maskenattesten. Natürlich könnte man argumentieren, Richter seien auch nur Menschen und auch sie können in Schwierigkeiten geraten, wenn sie sich trauen, bei ihren Urteilen die Staatsdoktrin in Frage zu stellen. Auch das haben wir in den letzten zwei Jahren gelernt.

Allerdings ist inzwischen mehr als offensichtlich, dass bei der Beurteilung der Corona-Politik neue Maßstäbe angelegt werden müssen. Diese Erkenntnis hat sogar schon einen großen Teil der Leitmedien erreicht. Gerade unter Berücksichtigung des Evaluierungsberichtes erscheint das Urteil mehr als unverhältnismäßig. Wie die Berliner Zeitung berichtet, ist die Datenlage auch nach über zwei Jahren „desaströs“. (8)

So zitierte die Welt aus dem Evaluierungsbericht:

„Während in anderen Ländern Möglichkeiten zur Einschätzung der Wirkung von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen genutzt wurden, ist eine koordinierte Begleitforschung während der Corona-Pandemie in Deutschland weitgehend unterblieben“

und weiter heißt es in dem Papier:

„Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar.“

Zumindest wäre damit geklärt, wieso Deutschland als Geisterfahrer in der „Pandemie“ dasteht. Andere Länder haben in den letzten zwei Jahren Daten erhoben, etwas dass wir offensichtlich „vergessen“ haben.

Darüber hinaus heißt es, die Wirkung von Masken hänge vom Träger ab. Je schlechter eine Maske sitzt, desto eingeschränkter sei die Wirkung. Abgesehen davon, dass niemand eine Maske so trägt, dass sie den Schutz erreicht, der unter Laborbedingungen suggeriert wird, bleiben andere Probleme völlig unberücksichtigt. Dazu zählen unter anderem, die durch die Masken verursachten Müllberge.

Was auch immer Karl Lauterbach zu seinem Statement veranlasst hat – eine valide Datenlage können wir ausschließen.

Dennoch gibt es viele wie ihn, die das Tragen von Masken verteidigen. Ein Twitter-Nutzer empfiehlt Menschen mit Problemen beim „kurzzeitigen“ Maskentragen einen Besuch beim Kardiologen und/oder beim Pneumologen. Vermutlich ist er privat versichert, denn wer gesetzlich krankenversichert ist, dürfte auf so einen Termin eine ganze Weile warten müssen. Auch an dieser Situation, also am Zustand unseres Gesundheitswesens, hat Karl Lauterbach durchaus seinen Anteil. Als Regierungsberater war er in den 2000er Jahren mitverantwortlich für die dortigen Kürzungen. Und jetzt, als Gesundheitsminister, lag sein Fokus ausschließlich auf der Beschaffung von großen Mengen an Impfstoffen. Dabei ist sogar ihm klar, dass ein beträchtlicher Teil davon vernichtet werden muss. Dennoch hat er das Geld dort investiert, anstatt das Gesundheitssystem zu stärken.

Im Übrigen ist es fraglich, ob ein Arzt sich traut, eine Untersuchung durchzuführen, die einem Patienten zu seinem Recht verhilft, falls jemand schließlich doch einen Termin bei einem Facharzt bekommen sollte. Dazu gehört inzwischen nämlich eine gehörige Portion Mut.

Eigentlich sollte unter Berücksichtigung der Gegebenheiten und aufgrund der Datenlage eine Fortführung bzw. eine Wiedereinführung der Maßnahmen unmöglich sein. Dennoch ist für den Herbst eine weitere Novelle des Infektionsschutzgesetzes angedacht. (9) Diese soll in der ersten Sitzungswoche ab dem 5. September das Parlament passieren und ab Oktober gelten. Damit könnten die Länder auch weiter eine Maskenpflicht – sogar im Außenbereich – anordnen. Auch an Schulen kann die Maskenpflicht zurückkehren. Gleiches gilt für die Testungen und das obwohl im Evaluierungsbericht festgehalten wurde, dass gerade die Massentestungen an Schulen die Einschätzung des Infektionsgeschehens unter Kindern und Jugendlichen stark verzerrt haben.

Richter HammerDie Grünen in Baden-Württemberg kritisierten hingegen die angebotenen Optionen schon jetzt als unzureichend. Sie möchten weitere Werkzeuge, etwa Kontaktbeschränkungen. Dabei sind die angedachten Maßnahmen eine Zumutung für unsere „Demokratie“ oder das, was davon noch übrig ist, kommen sie doch einer Kennzeichnungspflicht für bestimmte Gruppen gleich. Dazu zählen zum Beispiel alle, die sich innerhalb der letzten drei Monaten keiner Auffrischungsimpfung unterzogen haben. Der vierfach geimpfte Karl Lauterbach empfiehlt dafür die Verwendung der Corona-Warn-App oder der CovPass-App – für normale Bürger. Er selbst möchte das Datum seiner letzten Impfung geheim halten. Und zur Sicherheit hat er gleich zu Beginn seiner eigenen „Corona-Erkrankung“ Paxlovid eingenommen, um den – dank Impfung – milden Symptomen entgegenzuwirken.

Für jemanden, der sich derart von seiner Angst leiten lässt, ist es ziemlich mutig, sich ein Urteil über eine Ärztin zu erlauben, die in erster Linie das Wohl ihrer Patienten im Sinn hatte. Für einen Richter ist die Situation freilich schwieriger. Angesichts der kaum vorliegenden Daten ein solches Urteil zu fällen, ist allerdings mehr als fragwürdig. Dennoch wird es seine abschreckende Wirkung wohl entfalten. Aber wenn das Gerechtigkeit ist, dann ergeht sie im Namen der Politik, im Namen einer Ideologie – anstatt im Namen des Volkes.