Brandstifter im Gemeinsamen Haus Europa

Basis News Item – AG Frieden – Oktober 2023

NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat in einer Rede am 7. September im EU-Parlament offen zugegeben, was außerhalb Deutschlands eigentlich schon jeder weiß: „Putin zog in den Krieg, um eine NATO-Präsenz nahe seinen Grenzen zu verhindern. Er erreichte das Gegenteil.“ („So he [Putin] went to war to prevent NATO, more NATO, close to his borders. He has got the exact opposite.“) Der Ukraine-Krieg ist also, wie Stoltenberg selbst erklärt, die logische militärische Konsequenz der NATO-Osterweiterung bis an die ukrainisch-russische Grenze, welche nichts anderes war als eine Ausweitung US-amerikanischer Erstschlagskapazität gegen die Russische Föderation. (Stoltenbergs Rede im Original: https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_218172.htm?selectedLocale=en)

NATO-Generalsekretär Stoltenberg ist damit klar der Meinung, dass der russische Einmarsch in die Ukraine weder „unprovoziert“ war, noch der Errichtung eines neuen russischen Zarenreiches dient. Im Osten Europas tobt ein Krieg, weil die NATO russische Sicherheitsinteressen wieder und wieder missachtet hat – also die Russische Föderation bewusst und gezielt provozierte. Die NATO nutzt den Krieg, um „das Gegenteil“ dessen zu tun, was die russische Regierung noch Ende 2021 in ihrem Angebot für einen Sicherheitspakt vorschlug, nämlich, „dass die USA und ihre Verbündeten keine militärischen Stützpunkte in Nicht-Nato-Ländern installieren, die einmal Teil der Sowjetunion waren. Außerdem solle das Bündnis seine Truppen auf die Positionen von 1997 zurückziehen, also vor dem Beginn der Osterweiterung“ (ZEIT 17.12.2021 https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/ukraine-konflikt-russland-nato-sicherheitspakt)

Die deutschen Regierungsparteien haben durch ihre einseitige Anbindung an die NATO zugelassen, dass sich Brandstifter in unserem Gemeinsamen Haus Europa breitmachen. Die USA verweigerten die Verhandlungen und zogen es vor, weiter zwischen der EU und der Russischen Föderation zu zündeln. Jeffrey Sachs beschreibt für Other News das wiederholte Bemühen der russischen Regierung, der sich nach Osten ausdehnenden NATO ihre legitimen Sicherheitsinteressen begreiflich zu machen. Vergeblich. „Anstatt Diplomatie zu üben, trainierten und organisierten die USA eine riesige ukrainische Armee um die NATO-Osterweiterung zu zementieren.“ (Jeffrey Sachs, Other News, 19.09.2023 https://www.other-news.info/nato-admits-that-ukraine-war-is-the-war-of-nato-expansion/)

Die NATO-Staaten haben den Geist des Zwei-Plus-Vier-Vertrags von 1990 verraten. Der Vertrag verpflichtete die damals existierenden beiden deutschen Staaten und die vier Siegermächte UdSSR, Frankreich, Großbritannien und USA, ein gegenseitiges friedliches Miteinander zu fördern, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen, sich gegenseitig nicht als Gegner zu betrachten und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit hinzuarbeiten. Erklärtes Ziel des Zwei-Plus-Vier-Vertrages war ein „Gemeinsame Haus Europa von Wladivostok bis Lissabon“. Die Ost- Erweiterung der NATO unter Federführung der USA ist ein Bruch des Zwei-Plus-Vier-Vertrages und damit eine Verletzung auch des deutschen Interesses an Frieden in Europa. Dass Stoltenberg dies nun offen zugibt, ist insofern hilfreich, als es zur Versachlichung der Debatte in Deutschland beitragen kann.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um
die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal was man Ihnen im Geschichtsunterricht
erzählt.“ (Egon Bahr, 2013)

Theoretisch hat die deutsche Justiz ein effektives Mittel um Stoltenbergs Aussagen aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten. Jeder, der Stoltenbergs Sicht wiederholt, der also den russischen
Einmarsch in die Ukraine nicht als „unprovoziert“ einordnet, kann in Deutschland wegen „Verharmlosung eines Angriffskrieges“ angeklagt werden, was auch vereinzelt passiert (z.B. in Düsseldorf: www.freidenker.org/?p=16970). Man darf gespannt sein, ob ein deutscher Staatsanwalt Anklage gegen den NATO-Generalsekretär erheben wird, nachdem dieser den russischen Einmarsch mit russischen Sicherheits- statt Großmachtinteressen erklärt hat. Besser wäre natürlich: drüber reden.

Michael Aggelidis und Florian Pfaff, Sprecher der AG Frieden